Zum Afterwork mit der grünen Fee

Absinth statt Prickelndem: Geht es nach den Betreibern der ÉMILE Bar soll die hochprozentige Spirituose als Aperitif (wieder) salonfähig werden.

Text · Sonja Planeta
Fotos · Hilton Vienna Plaza (Bar), Florence Stoiber (Absinth)

Erst hochgelobte Künstlerspirituose von berühmten Absinth-Trinkern wie Oscar Wilde, Vincent van Gogh, Henri de Toulouse-Lautrec, Ernest Hemingway und Edgar Allan Poe zur Jahrhundertwende, dann der tiefe Fall am Höhepunkt seiner Popularität: Geschichten über angebliche Halluzinationen (Stichwort „Grüne Fee“), epileptische Anfälle und Wahnvorstellungen (ja, auch Van Goghs Selbstverstümmelung soll auf einen Absinth-Rausch zurückzuführen sein), führen Anfang des 20. Jahrhunderts zu einer europaweiten Verbotswelle von Absinth, die schließlich 75 Jahre andauert. Nein, der legendäre Kräuterschnaps hat wahrlich keinen guten Ruf, auch wenn Wissenschaftler mittlerweile belegt haben, dass die gesundheitlichen Schäden nicht durch das im Wermut enthaltene Nervengift Thujon ausgelöst werden, sondern damals allein auf die schlechte Qualität des Alkohols und die hohen konsumierten Alkoholmengen zurückzuführen sind. Trotzdem: Ist der Ruf erst ruiniert, kann es eine Weile dauern, bis alle Vorbehalte gegenüber Absinth abgelegt werden und das Image wieder in eine positive Richtung steuert. Das dürfte auch ambitionierten Bartendern, Spirituosenherstellern und anderen Drink-Aficionados nicht entgangen sein, die seit geraumer Zeit versuchen, Absinth zu einer rosigen Zukunft zu verhelfen.

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Zwei von ihnen trifft man neuerdings in der ÉMILE Bar im Hilton Vienna Plaza am Wiener Schottentor. „Wir möchten unser Barkonzept passend zum 20er Jahre Flair des Hauses aufpeppen und die Roaring Twenties auch vermehrt in die Bar einfließen lassen. Das funktioniert am besten mit Martini Cocktails – und Absinth“, erzählt F&B Operations Manager Wolfram Pizzera, der sich für dieses Vorhaben keinen Geringeren als den mehrfach ausgezeichneten Mixologen und Betreiber der Wiener Bar „The Sign Lounge“ Kan Zuo mit an Bord geholt hat. Und wer Zuo kennt, weiß, dass hinter der Bar des sympathischen Austro-Chinesen nicht immer alles ganz so ernst abläuft. „Wir gehen das Thema spielerisch an, nicht nur bei der Präsentation vor dem Gast, sondern bereits in der Karte“, so Pizzera, während er das einem 3D Pop up Glückwunschbillet nachempfundene Barmenü öffnet. „Grüne Stunde“ heißt das Konzept, das Barflys täglich von 17-20 Uhr zu einer „Malstunde für Erwachsene“ einlädt. Das Procedere? Der Gast bestellt zuerst 3 cl von einem der sechs verschiedenen Absinths zwischen 40 und 70 Volumenprozent Alkohol. Angelehnt an bereits erwähnten Absinth-Fan Vincent van Gogh, dessen kreative Züge sich auch mehrfach im Hotel wiederfinden, begibt man sich mit seinem Glas zu einem Tisch, auf dem neben einem Absinthbrunnen auch ein Malerbrett vorbereitet ist. Pizzera: „Unsere Gäste sollen Spaß haben und selber aktiv werden. Zuerst mit der Barkarte, dann mit dem Pinsel.“ Man versetzt die Spirituose also zuerst klassisch mit Wasser: Bei Absinth mit 40% vol. alc. werden zwei Teile Wasser empfohlen, bei 70% vol. alc. drei Teile. Bereits hier gilt: Herantasten, ausprobieren, bei Bedarf nachbessern. Anschließend „malt“ der Gast sich seinen eigenen Geschmack. Zur Auswahl stehen auch hier wieder sechs Sorten: Kaffee/Trüffel, Grapefruit/Blue Curaçao, Paprika, Gurke, Veilchen und Mandarine. Die Basis bildet eine Flüssigkeit, die mit Maisstärke eingedickt wird, um optisch und haptisch den Eindruck zu erwecken, es handle sich um Pastellfarbe. „Die Farben sind „light“, man kann den Pinsel also ruhig ordentlich eintauchen und dann im Getränk malen“, erklärt Wolfram Pizzera. „Genau wie beim Wasser darf und soll sich der Gast auch hier wieder herantasten, aber in der Regel empfehle ich, lieber mehr Farbe zu nehmen. Dann sollte man kosten und sich so nach und nach seinen Lieblingsaperitif kreieren.“ Wer will, kann den Drink zusätzlich mit Kräutern, Beeren, Obst und Gemüse aufbessern. „Vielleicht vermisst jemand eine Zitrusnote oder will die totale Gurke. Die Möglichkeiten sind unendlich“, schließt Pizzera, dem durchaus bewusst ist, dass er mit diesem außergewöhnlichen Aperitif-Konzept auch etwas riskiert. Dennoch überwiegt die Lust, einen neuen Trend zu setzen und sich von anderen Bars in der Stadt abzuheben. Möge die grüne Fee ihm und seinem Team diesen Wunsch erfüllen.

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