Eine Reise in die Ideenwelt von Barchefin Sigrid Ehm ist so vielschichtig und tiefgründig wie der Cocktail, der am Ende dabei heraus kommt. Im Idealfall weckt sie Kindheitserinnerungen. Ein Selbsttest.
Text · Sonja Planeta
Rezept · Sigrid Ehm & Sonja Planeta
Fotos · Oliver Topf
„Alles was wir essen oder trinken, führt uns an der Nase herum!“
Sigrid Ehm, Hammond Bar
Die Geschichte könnte auch mit einem bedeutungsschwangeren „Es war einmal…“ beginnen, der Einstieg wäre nicht zu hoch gegriffen. Sigrid Ehm, Barchefin der Wiener Hammond Bar, holt für ihre Kreationen gedanklich weit aus. Was mich gerade beschäftigt, werden wir zu einem Drink verarbeiten, so die erste Anweisung, sie klingt fast ein wenig therapeutisch. Wenn Sigrid an einer Cocktailidee feilt, startet sie bei der Jahreszeit. Dann: „Wem soll der Cocktail schmecken? Mir, den Gästen oder Freunden?“ Der Unterschied? „Drinks für mich sind entweder zu ausgefallen oder zu simpel. Aber meistens mit Tequila.“ Gin wird es in meinem Fall, konkret Bombay Sapphire. Jene Spirituose, bei deren internationalem Cocktail-Wettbewerb Sigrid im Juni dieses Jahres als erste weibliche Gewinnerin und erste Österreicherin zum „World’s Most Imaginative Bartender“ ausgezeichnet wurde. Ihr Siegerrezept „El Diamante“ vereint die vier Elemente, mit denen ein Diamant im Laufe seiner Entstehung in Berührung kommt: Luft, die alles umschließt. Wasser, hier als Eiswürfel, auf denen der Cocktail gerührt wird. Erde, in Form eines Erde-Salz-Sirups. Feuer, symbolisch aus rotem Seidenpapier, das wie eine Flamme um den Stiel des Martiniglases gewickelt wird. Die Jury war begeistert.
Meine Geschichte beginnt in Niederösterreich, Weinregion Wagram. Sigrid verschwindet kurz, kommt mit einer Box aus Plexiglas zurück und enthüllt verkohlte Zweige alter Weinstöcke und – ihrem Faible für Bauhäuser sei Dank – ein Stück Jutte als Dekoration für den Tumbler. Mit einem Gummiringerl fixiert erinnert der Stoff an einen aufgestellten Mantelkragen. Wir spinnen den Gedanken an Mäntel weiter, kommen von Weinreben zur Weinlese, Herbst, Erntedank, saisonalem Obst und Gemüse. Bei der Entscheidung, ob Quitten- oder Ingwer-Gelee, bekommt die Wurzel prompt den Zuschlag. Wieder zurück zur Region, dem Ländlichen, alten Vierkanthöfen, Hühnern, der Drink braucht Eiweiß. Shortdrink oder Longdrink, es wird kurz, gut und einen Tick klassisch, ein Sour auf Gin Basis soll’s werden, zubereitet von mir, unter fachkundiger Anleitung der Gastgeberin. Merke: Nimm für das höchste Maß an Coolness stets den längsten Barlöffel. Und: So wie ein Mann shaked, so bewegt er sich auch im Bett. Der nächste Barbesuch könnte heiter werden.
Bleibt noch die Frage nach dem Namen, da sei sie streng, so Sigrid, ich muss mich anstrengen, aber nicht zu viel nachdenken, einfach reden. Brainstormen was das Zeug hält, das macht sie auch mit ihren vier Jungs, die mit ihr hinter der Bar stehen. Vielleicht etwas in Verbindung mit einer Jahreszahl, auf Deutsch ist auch möglich und ihr sogar lieber. Wir gehen zurück zum Anfang, sind wieder am Wagram und bleiben bei einem Straßennamen hängen. Der wird’s, aber gekürzt, und jetzt noch den Herbst dazu. Wieder reden, nicht denken, ganz so locker will es mir auch zum Schluss noch nicht von der Hand gehen. Mit einem letzten Blick auf dem Tumbler im Mäntelchen einigen wir uns auf „Fang den Sturm“. Mit Ausrufezeichen. Dann der erste Schluck, in der Nase die Asche des verkohlten Weinstocks. Gute Balance zwischen süß und sauer, der Ingwer gibt eine leichte Schärfe, ob ich das Eiweiß jemals wieder so perfekt hinbekomme bleibt fraglich. Sigrid rührt die Asche unter, auch so funktioniert der Cocktail. Noch einmal riechen und da ist sie, die Kindheitserinnerung an die Alm der Großeltern, an den Opa, der die Asche vom Vortag aus dem Ofen auf eine kleine Handschaufel kehrt, um ihn neu zu befeuern. Fang den Sturm, das ist eindeutig mein Drink, mit meiner Geschichte. Danke Sigrid.
Fang den Sturm!
Zutaten für einen Drink:
5 cl Bombay Sapphire
3 cl Zitronensaft
1 cl weißer Zuckersirup
2 Barlöffel Ingwer-Gelee
1 Eiweiß
Eiswürfel
Verkohlter Zweig eines Weinstocks
und etwas Asche davon
Zubereitung:
Gin, Zitronensaft, Zuckersirup, Ingwer-Gelee und Eiweiß im Shaker ohne Eiswürfel kräftig shaken, bis das Eiweiß spürbar „eindickt“. Den Shaker mit Eiswürfel füllen und erneut kräftig shaken. Über einen Strainer (Barsieb) in einen Tumbler mit Eiswürfel gießen und mit Asche bestreuen. Den Zweig an einem Ende anzünden und über den Glasrand legen.
einfach grandios – diese Fantasie – beneidenswert