„Hos ausse!“

Der Hase als Delikatesse hat ein Imageproblem. Ein Winzer und ein Koch wollen dem entgegenwirken. Auf Böhmischer Streife durch die Königsbrunner Weingärten.

Text · Sonja Planeta
Fotos · Jürgen Schmücking
Rezept · Maria Bauer

„Hase war bei uns schon immer Nahrung und Teil der Grundversorgung.
Wir wollen seinen Geschmack einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen.“
Stefan Bauer, Winzer und Jäger

Cäsar ist die Aufregung deutlich anzusehen. Der elfjährige Deutsch Kurzhaar von Winzer und Jäger Stefan Bauer kennt das Prozedere. Er weiß, was passiert, wenn ein Pick-up nach dem anderen vor dem Weingut hält, aus denen Menschen in oranger Signalkleidung mit Hunden und Jagdausrüstung steigen. Es ist Hasentreibjagd in Königsbrunn am Wagram. Im Innenhof des Weinguts hat die Jagdgesellschaft Aufstellung genommen. Fünf Mal im Jahr kommen die Königsbrunner Jägerinnen und Jäger zur Niederwildjagd zusammen. Heute geht es ausnahmslos um den Feldhasen, der traditionell zwischen Anfang Oktober und Ende Dezember bejagt wird. Aus dem Jagdhorn ertönt das Begrüßungssignal. „Für uns ist die Hasenjagd selbstverständlich, weil der Hase schon immer Nahrung und Grundversorgung war“, erzählt Stefan Bauer. „Es ist eine bäuerliche Jagd, das heißt, es wird nur geschossen, was auch verarbeitet wird. Es geht um das Fleisch, nicht um Trophäen.“ Trotz der Tradition hat der Hase seinen Ruf als regionale Delikatesse über die Jahre eingebüßt. Kaum jemand macht sich heute noch die Arbeit, Hase zu zerlegen und zu verarbeiten. Dass er üblicherweise mit Schrot geschossen wird, macht die Sache nicht leichter. Dazu kommt ein erheblicher Preisverfall. Früher war ein Hase 100 Schilling wert. Heute zahlen Wildbrethändler:innen maximal zwei Euro pro Tier. Dennoch gehört der Hase zum Wagram – und für Stefan Bauer zurück auf den Teller.

Image aufpolieren
Hinter dem Weinkeller von Stefan Bauer geht es durch die Weingärten hinauf auf die Wagramkante. Jäger* und Treiber:innen reihen sich in einer Linie auf. Unter ihnen ist auch Haubenkoch Josef Floh. In seiner gleichnamigen Gastwirtschaft in Langenlebarn kocht er nach dem „Radius 66“-Prinzip: Was benötigt wird, wird nach Möglichkeit von Produzent:innen aus einem Umkreis von 66 Kilometern bezogen, von Lebensmitteln bis zum Mobiliar. Nach der heutigen Jagd wird er beim Schüsseltrieb, dem gemeinsamen Essen am Weingut Stefan Bauer, Hase in zehn Gängen nose-to-tail servieren. Bereits nach dem ersten Trieb durch die Weingärten der Ried Bromberg hat er seine Haube zum Sammeln von Wildpflanzen zweckentfremdet. Am Ende wird sie mit Schafgarbe, wildem Salbei, Vogelmiere, Spitzwegerich und Barbarakraut gefüllt sein, die Floh allesamt spontan in seinen Gerichten einbauen wird.
Langsam, Schritt für Schritt, setzt sich die Jagdgesellschaft in Bewegung. Das Jagdhornsignal zum Anblasen des Treibens ist längst verklungen. Als die ersten Hasen aufspringen, werden die Hunde von der Leine gelassen. Schüsse, Pfiffe aus Trillerpfeifen, Kommandos der Hundeführer* und abwechselnde Rufe wie „Hos ausse“, „Hos von links“ und „Hos von rechts“ durchbrechen die Stille des Weinberges. Als ein Reh vorbeiläuft, hält der Trupp inne. „Der Hase hat kaum Eigengeruch“, erzählt einer der Jäger, bevor der Trieb fortgesetzt wird. „In hohem Gras ist er für den Hund so gut wie nicht wahrnehmbar. Erst, wenn er aufspringt, kann er ihn wittern.“ Wie zum Beweis steht beim zweiten Trieb durch eine Brache einer der Hunde keinen Meter vor einem Hasen, der sich unbemerkt mit angelegten Löffeln in eine Mulde drückt. „Eine Häsin“, mutmaßt ein Jäger, „die drücken sich bei Gefahr länger ins Lager.“ Gemeinsam mit seinem Hund, der die Witterung auch nach ein paar Minuten noch nicht aufgenommen hat, steigt er vorsichtig über den Hasen hinweg.

Gegen Wildverbiss, für Aroma und Geschmack
Bei der Streckenlegung an der Wagramkante ziehen die Jäger* ihren Hut, während das abschließende Halali erklingt. Die sechs erlegten Hasen werden nach links schauend aufgelegt, so verlangt es die Tradition. In den 1970er Jahren, erinnert sich ein Jäger, habe man bei der Hasentreibjagd im benachbarten Engelmannsbrunn bis zu 300 Tiere geschossen. Die Dorfbewohner:innen standen Schlange am „Schwoabbrunn“, wo die Hasen direkt vom Anhänger verkauft wurden. In den 2000er Jahren sank die Strecke auf 120 Hasen, heute sind es durchschnittlich 30, mehr Nachfrage gäbe es nicht. „Hasenfleisch ist mager, gesund und wohlschmeckend, die Zubereitung aber fast in Vergessenheit geraten. Dabei ist Hase eine wahre Delikatesse und rangiert beim Wildbret nach Reh, Hirsch und Wildschwein auf Platz 4. Sein Muskelfleisch hat eine besonders angenehme Textur, Aroma und Geschmack sind einzigartig. Wir wollen zeigen, dass sich seine kulinarische Wiederentdeckung lohnt“, gerät Jagdleiter Fritz Bauer ins Schwärmen. Gleichzeitig betont er aber auch, dass durch die Jagd Wildschäden im Weingarten verringert werden. „Hasen sind reine Pflanzenfresser und ernähren sich von dem, was auf Äckern, Böschungen und zwischen den Rebzeilen wächst. Begrünungsgassen sind ein kulinarisches Eldorado. Hasen knabbern Soja, Sonnenblumen, Zuckerrüben und zunehmend auch Gemüsekulturen an, im Winter Winterweizen, Gerste und Raps.“
Direkt nach der Jagd werden die Hasen aufgebrochen. Auch das ist ein Unterschied zu früher, wo man die Strecke oft bis zu zwei Wochen hängen ließ. Aus dieser Zeit stammt auch der Glaubenssatz, Wildbret würde wildeln. „Ein Irrtum“, wie ein Jäger richtigstellt. „Eine saubere Verarbeitung und ordnungsgemäße Kühlung sind heute selbstverständlich“. Wie man ein Tier zerlegt, ist allerdings nicht Teil der Jagdausbildung. Dafür muss ein zusätzlicher Kurs zur „kundigen Person“ absolviert werden. Erst dort lernt man über Wildbrethygiene und Wildkrankheiten. „Als Jäger will man sein Wildbret natürlich auch verkaufen. Als kundige Person muss ich Aufzeichnungen führen, die Dinge wie Herkunft und Kühlkette nachvollziehbar machen. Natürlich will man an niemanden eine schlechte Qualität weitergeben, schon gar nicht bei der bäuerlichen Jagd, wo das Wildbret in erster Linie an Nachbarn und Freunde geht“, so ein Jäger.

Wildhasenleber mit Ingwer & Physalis
Mit Wildhasenbauch gefüllter Bun mit Zwiebelcreme, Kimchi & Rucola

Von den Löffeln bis zur Blume
Als auch der letzte der sechs Hasen zerwirkt ist, ist die Sonne fast untergegangen. In seinem Heurigenlokal schenkt Stefan Bauer den Jagdteilnehmer:innen ein Glas Hutzler Grüner Veltliner 2020 ein. Josef Floh serviert den ersten Gang: Marinierter Hasenrücken, hauchdünn aufgeschnitten und mit Balsamico mariniert. Kürzlich sei eine Frau bei ihm in der Gastwirtschaft gestanden, erzählt er, die Kakis aus ihrem Garten im wenige Kilometer entfernten Kierling dabei hatte. Ob er sie denn haben möchte, war die Frage, und er habe ja gesagt. Die Früchte liegen in Scheiben geschnitten unter dem Hasenrücken und obenauf dient etwas Barbarakraut als Garnitur.
Es folgen geschmorte Hasenschulter-Terrine mit Schalotten, Birne, Radicchio und Vogelmiere, gekochte Wildhasenzunge mit Semmelkren und Spitzwegerich, Herz mit Kohlrabi und Kurkuma, Leber mit Ingwer und Physalis, ein gefüllter Bun mit Hasenbauch, Mirabellen-Chutney, Zwiebelcreme, Kimchi und Wasabi-Rucola, Wildhasenbeuschel mit Serviettenknödel, mit fermentierten Kriecherl geschmorte Stelze, Schale vom Grill mit Pilzcreme und Kohl und zum Abschluss Nierndln mit Schokolade, Zwetschke, Feige und Chili und mit Hasenleber gefüllte Buchteln.
Hase war lange Zeit ein traditionelles Weihnachtsessen. Als Hausmannskost kennt man ihn bis heute als deftigen Eintopf in Blutsauce geschmort. Stefan Bauers Mutter Maria kennt das Rezept dafür in- und auswendig. Die beste Beilage für dieses „herrliche Essen, das man mit Familie und Freunden genießen sollte“, seien Erdäpfelknödel, empfiehlt sie. Einen Versuch ist es allemal wert.

Wildhasenbeuschel mit Yuzu aus Unteraigen & Serviettenknödel
Mit Wildhasenleber gefüllte Buchtel mit Hagebutte

Feldhase wie eh und je

Zubereitung:

Hase zerteilen, mit Gewürzen (Lorbeerblatt, Pfefferkörner, Wacholderbeeren, Piment, Senfkörner, Salz), Gemüse (Karotten, gelbe Rüben, Sellerieknolle und -grün, Pastinake oder Petersilienwurzel, Lauch, Zwiebel) und Kräutern (Rosmarin, Thymian) weichkochen.

Einbrenn aus Schmalz und Mehl zubereiten, braunen Zucker kurz mitrösten und mit Cognac ablöschen. Dann mit gutem Rotwein und Hasenfond aufgießen. Mit Wildgewürz (fein gemahlen), Salz und Sauerrahm abschmecken.

Hasenfleisch von den Knochen lösen, Schrotkörner falls vorhanden entfernen und in der Soße wieder wärmen. Die beste Beilage dazu sind Erdäpfelknödel.

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