„Bei Zimmertemperatur“ hat ausgedient: Wer Rotwein falsch temperiert, nimmt dem Wein sein Potential und sich selbst den Trinkgenuss. Eine Anleitung zum Rotweintrinken.
Text · Sonja Planeta
Foto · Pixabay
„Gehört wärmer! Der hat sicher keine Zimmertemperatur!“
Aussage eines Gastes gegenüber einem Kalk&Kegel-Sommelier,
ursprünglich notiert für einen Beitrag in „Die Presse Schaufenster Online“
Man kennt das: Der Weißwein ist noch nicht ausgetrunken, da wird schon der Rotwein bereit gestellt. Ein Anfängerfehler? Wohl eher gängige Praxis. Dabei ist die weit verbreitete Trinkempfehlung, Roten bacherlwarm zu servieren, längst überholt. „Die Gepflogenheit, Rotwein bei Zimmertemperatur zu trinken, stammt vermutlich aus Zeiten, in denen das Heizen wesentlich teurer und mühsamer und die Raumtemperatur generell niedriger war. Heutzutage hat es in den meisten Häusern zwischen 22 und 24 Grad – viel zu warm für die Weinlagerung“, erklärt Winzer Ferry Schindler vom burgenländischen Weingut Franz Schindler. Die Folge: Vor allem bei schweren Rotweinen mit 14 Volumsprozent und mehr tritt der Alkohol in den Vordergrund, der Wein wirkt brandig und überlastet. Kühlt man ihn stattdessen auf maximal 17 Grad, können sich die reifen, komplexen Bukettstoffe wesentlich besser öffnen. Stellt man den Wein noch kälter, dämmt man die Bukettstoffe allerdings wieder ein, der Rotwein wirkt am Gaumen eher hart und verschlossen. „Daher werden auch kräftig ausgebaute Weißweine aus dem Barrique nicht zu kühl getrunken“, ergänzt Schindler. Bei leichten, fruchtbetonten Rotweinen unterstreichen ein paar Grad weniger wiederum die primärfruchtigen Aromen, der Wein wirkt frischer und wird trinkfreudiger. „Grundsätzlich hat jeder Wein, egal welcher Couleur, eine für ihn optimale Trinktemperatur, bei der Tannine, Alkohol und Aromenprofil in größtmöglicher Balance wahrgenommen werden“, weiß auch Markus Gould, Gastgeber im Wiener Weinbistro Heunisch & Erben. Davon betroffen seien alle Rebsorten, „es ist aber auch kein Geheimnis, dass burgundische Weine gerne noch einen Tick kühler getrunken werden können. Vernatsch! Poulsard! Gamay! Grenache, sofern nicht überextrahiert. Mencia! Trousseau! Teran!“ Gould hofft allerdings, nicht von einem „Trend“ sprechen zu müssen, sondern dass der „gemeine Weintrinker den Mut hat, verkrustete Denkmuster aufzubrechen“. Von der Minderheit der „ewigen Schubladendenker, die Weiß- und Schaumwein kategorisch vom Eis und Rotwein bei Körpertemperatur trinken“ gäbe es bei ihm im Bistro auch keine Probleme, wenn der Rotwein kühler auf den Tisch kommt. „Gelegentlich sieht man ein Fragezeichen im Gesicht, das ist aber in der Regel nach einem kurzen Gespräch verflogen.“