Russlands Märchenonkel

Vladimir Muhkin

Vladimir Muhkin aus dem Moskauer White Rabbit schreibt die Geschichte der russischen Küche neu. Seine Musen: Tradition und Erinnerungen.

Text · Sonja Planeta
Fotos · Rolling Pin (stage), www.captivo.at (food)

„Für eine gute Balance in meinen Gerichten brauche ich nur drei Zutaten.“
Vladimir Muhkin, White Rabbit

Zugegeben: Man muss Protz und Prunk schon mögen. Sonst kann es in den überdimensionierten Samtsofas des Moskauer Restaurants White Rabbit schnell ungemütlich werden. Die Nummer 18 der „World’s 50 Best Restaurants“ im 16. Stock der Smolenskiy Passage entführt ihre Gäste ihrem Namen getreu in einen fiktiven Kaninchenbau: inspiriert von jenem, in dem einst auch Alice ihr Wunderland fand – übergroßer Kamin, fantasievolle Gemälde von Lewis Carrolls Romanfiguren und Hasen-Skulpturen inklusive. In der Rolle des Geschichtenerzählers: Vladimir Muhkin, Pionier der neuen russischen Küche.

Vladimir Muhkin Vladimir Muhkin Vladimir Muhkin

Muhkin hat die kulinarische Reputation seines Landes weit nach vorne gebracht. Wer Russlands Küche bislang nur für Borschtsch, Bliny und Piroschki kannte, wird erstaunt sein, wie vielfältig sie in ihren Wurzeln tatsächlich ist. „Russland vereint verschiedene Kochstile, europäische mit asiatischen. Wir haben zum Beispiel Brot, das gekocht wird, ähnlich dem asiatischen Bao“, erklärt Vladimir Muhkin bei den CHEFDAYS 2016. Innovation sei für ihn kein technischer Prozess, vielmehr gehe es darum, Traditionen hochzuhalten und die Persönlichkeit des Kochs und seinen kulinarischen Hintergrund zu unterstreichen. „Der Gast muss meine Herkunft schmecken“, so Muhkin. Darum gibt es für die Gäste des White Rabbit auch glutenfreies Brot nach einem Rezept seiner Oma, genannt „oatmeal love“. Im Hause Muhkin wird es Gästen üblicherweise zur Überbrückung der Wartezeit bis zum ersten Gang serviert. „Das Wichtigste bei einem Restaurantbesuch sind der Geschmack und Erinnerungen.“ Hervorgerufen werden letztere bei Muhkin auch durch ein Gericht, das vor allem russischen Gästen in vereinfachter Form als medizinisches Hausmittel aus der Kindheit bekannt sein dürfte: Flüssiger Honig, serviert im schwarzen Rettich, dazu mit Apfelpüree gefüllte Begonienblüten – Muhkins Gruß aus der Küche.

Vladimir Muhkin Vladimir Muhkin

Vladimir Muhkins Rezepte sind in ihren Ursprüngen nicht neu, viele davon wurden bereits vor 700 Jahren gekocht. Neu ist allerdings seine Interpretation derselbigen, die Avantgarde, wie er sagt, die man auf seinen Tellern findet. Tradition findet sich im White Rabbit aber auch in anderen Details, etwa in der Zeichnung einer Katze auf einem Holzbrett, die man von russischen Hausfassaden kennt. Muhkin serviert darauf eine mit Petersilwurzel und geräucherter Sour Cream gefüllte Brotrinde mit fermentiertem Fisch und Weizen. Ein weiterer typischer Geschmack Russlands, ergänzt Muhkin, sei Shchi, eine Suppe aus fermentiertem Kohl – „ein gutes Katerfrühstück.“ Muhkin serviert sie mit Gurke, geräuchertem Hering und Frühlingszwiebeln, bestäubt mit Sellerieparfüm und reicht dazu Smørrebrød mit King Crab. Man möchte direkt zugreifen. Genauso wie bei seiner Kombination aus Sterlet, Sauce aus gebratenen Karauschen, Mousse aus roter Zwiebel, Weizencrunch, weißem Kaviar und wildem Sauerampfer aus russischen Wäldern. Wer an seiner Meinung über russisches Essen danach immer noch festhält, sollte sie schleunigst revidieren: Aus Alices Geschichte wissen wir, welche Abenteuer einem sonst vermutlich verborgen blieben.

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